LesArt.Preis der jungen Literatur 2021

Lisa Roy gewinnt mit „Die Schwester” den LesArt.Preis 2021

Eine Laudatio von Ralf Thenior

„Die Schwester“ ist die Geschichte eines geselligen Abends, an dem die Gastgeberin eine heftige Irritation erfährt. Es ist für alles gesorgt, der Tisch ist gedeckt, die Speisen sind zubereitet und die Hausfrau hat sich, wie in ihren Kreisen üblich, noch ordentlich aufgebrezelt mit Schmuck, Schminke und allem, was für sie dazu gehört.
Ein Freund ihres Mannes bringt eine Schwester mit, die ungeschminkt und in Jeans und T-Shirt kommt. Ihr ironisches Lächeln, ihre kurzen Einwürfe bei Gesprächen verunsichern die Gastgeberin dermaßen, dass sie fast aus dem Tritt kommt. Ihr gelingt es nur mit Mühe, den Abend mit gequältem Lächeln durchzustehen.
Am Schluss der Geschichte kommt dann eine wunderbare Irritation für den Leser. Am Ende der Party sieht die Hausfrau die Schwester nicht mehr und fragt deren Bruder nach ihrem Verbleib. „Welche Schwester?”, fragt der Mann.
Was also ist passiert? Der Leser kann nur mutmaßen. War die Schwester ein alter ego der Gastgeberin, das ihr gezeigt hat, dass ein anderes unverkrampftes Leben möglich ist? Oder? – Gelungene Kritik einer hohlen Mittelklasse, die in Ritualen erstarrt ist und in einem vorgegebenen falschen Leben lebt.


Herzlichen Glückwunsch im Namen der gesamten LesArt.Preis-Jury an Lisa Roy zum diesjährigen LesArt.Preis 2021!